Leichtathletik

«Bin noch nicht fertig»: Mama Schwanitz peilt Heim-EM an

Von

on

Chemnitz – «Kammer des Schreckens» steht auf einem weißen Blatt an der Innenseite der Tür. Bei Harry Potter verbirgt sich dahinter eine geheime Kammer, für Christina Schwanitz ist es ein Ort, an dem sie zur Zeit weitgehend im Verborgenen agiert.

In dem unscheinbaren Raum am Olympiastützpunkt Chemnitz mit den zahlreichen Gymnastikutensilien hat die Kugelstoß-Europameisterin Teil zwei ihrer bislang erfolgreichen Leichtathletik-Karriere gestartet.

Nur fünf Monate nach der Geburt ihrer Zwillinge nimmt nach und nach der Sport wieder mehr Raum in ihrem Leben ein. Denn Christina Schwanitz hat festgestellt: «Ich bin noch nicht fertig.» Und das Ziel ist klar: Platz eins bei der Heim-EM 2018. «Ich wünsche mir, in Berlin nächstes Jahr meinen dritten Europameister-Titel zu gewinnen», sagt die gebürtige Dresdnerin und fügt an: «Ohne Ziele geht man keinen Weg.»

«Ich sehe das als sehr realistisch an», urteilt ihr Trainer Sven Lang. Sein Blick geht sogar schon weiter voraus in Richtung Olympia in Tokio. «Fernziel ist es, 2020 eine Medaille zu holen», sagt der Bundestrainer, weiß dabei aber auch: «Das ist noch sehr weit weg.»

Die ersten Schritte auf diesem Weg sind noch wenig raumgreifend und mitunter qualvoll. Zugübungen mit Gummibändern, Stabilisierungsübungen mit dem eigenen Körpergewicht, Übungen für die allgemeine Beweglichkeit und Koordination – unter Anleitung von Athletiktrainer Steffen Öhmichen legt Christina Schwanitz die Grundlagen für das im Januar beginnende Grundlagentraining. «Sportliche Eingewöhnungsphase» nennt sie die erste Etappe ihres Comebacks. «Es geht darum, Belastungsfähigkeit herzustellen», erklärt Bundestrainer Lang.

Ihren bislang letzten Wettkampf hat Christina Schwanitz, die am Heiligabend 32 Jahre alt wird, am 18. Februar dieses Jahres bestritten. Bei den deutschen Hallen-Meisterschaften in Leipzig gewann sie Gold. «Das brauchte ich für mich.» Zu diesem Zeitpunkt schlugen schon zwei weitere Herzen in ihrem Körper, das eines Mädchens und das eines Jungen. Am 5. Juli kam das Zwillingspärchen, dessen Namen die Mutter nicht öffentlich verraten will, auf die Welt.

Das Leben von Christina Schwanitz ist seither ein anderes. Während vorher immer der Sport die Abläufe bestimmte, steht nun die Familie im Mittelpunkt. «Nichts geht über meine Familie. Der Sport steht an zweiter Stelle.» Zwei Monate lang, sagt sie, war sie auch gern schwanger. Das war in den letzten beiden Monaten, als sie das heranwachsende Leben ins sich spürte, das Zappeln. «Das war eine interessante Zeit. Aber es ist auch schön, dass sie wieder vorbei ist», erzählt sie.

Der Alltag hat sich bei Christina Schwanitz und ihrem Mann Tomas inzwischen eingespielt. Die Kinder schlafen seit der elften Woche durch, ihre Mahlzeiten werden von Muttermilch auf Brei umgestellt. Im Januar beginnt für die Zwillinge die Eingewöhnung in einem Kindergarten. «Das waren jetzt fünf Monate, um in der Familie anzukommen», sagt die stolze Mutter.

Die Auszeit vom Sport hat Christina Schwanitz gut getan – für Kopf und Körper. Sie hat ihr Fachabitur in sozialer Arbeit nachgeholt, weil sie in zwei Jahren gern ein Studium aufnehmen möchte. Körperlich hat die Weltmeisterin von 2015 vor allem die Probleme mit der Schulter auskuriert, die ihr im vorigen Jahr schwer zu schaffen machten. «Derzeit bin ich schmerzfrei.»

Nicht zuletzt aber hat die Pause auch ihren Geist erfrischt. Die Routine, das Einerlei, die Monotonie des täglichen Sports hatten ihr einen bedenklichen Teil ihrer Motivation entzogen. «Das geht dir auf den Keks.» Und: «Ich habe vermisst, normal zu sein.» Daher habe ihr der Sport während der Auszeit auch nicht gefehlt.

Das ist vorbei. Der Spaß ist wieder da, auch die Lust auf ein bisschen Qual. «Dafür, dass die Leidenschaft wieder kommt, war die Schwangerschaft perfekt», sagt die zweimalige Europameisterin. Trotz der Anstrengungen hört man in der «Kammer des Schreckens» zwischen den Übungen immer wieder ihr ansteckendes Lachen.

Noch gibt es keine Leistungsparameter, höchstens Muskelkater. «Das fühlt sich temporär toll an. Das ist der Beweis, dass noch Muskeln da sind.» Im Januar beginnt dann für sie «die schlimme Zeit»: Athletik, Ausdauer, Kondition. «Das Kugelstoßen», sagt Sven Lang, «kommt auf keinen Fall vor Februar.»

Noch überwiegt die Freude. Auch setzt sich die Sportsoldatin nicht unter Druck. Niemand erwarte von ihr, dass sie aus dem Kaltstart wieder in die Vollen geht. Letztlich hat Christina Schwanitz in ihrer Familie einen neuen Lebensmittelpunkt gefunden. Sollten Familie und Sport nicht zusammenpassen, kennt sie schon die Lösung: «Wenn das Experiment nicht funktioniert, dann greift Plan B.»

Fotocredits: Jan Woitas,Jan Woitas
(dpa)

(dpa)

Empfehlungen für dich